Der agroPreis war lediglich ein Etappenziel
Erfolgreiche Grassamenvermehrung war der Grund, warum ein paar Bauern aus dem Kanton St. Gallen Anfang des neuen Jahrtausends den agroPreis gewannen. Seither sind unter der Führung des Agronomen und Geschäftsleiters Christoph Gämperli eine Vielzahl neuer Projekte realisiert worden. Und fast alle haben sich auf dem Markt etabliert.
Die Landwirtschaftsschüler vom zürcherischen Strickhof sind fasziniert. Seit zwei Stunden referiert Christoph Gämperli über Ideen, Innovationen, Erfolge und Misserfolge. Gämperli ist ein wandelndes Lexikon in Sachen Saatzucht – und ein brillanter Redner, der die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen vermag. Er beginnt beim 1. Weltkrieg und der Tatsache, dass zu dieser Zeit auch Menschen in der Schweiz Hunger gelitten hätten. Ein Grund dafür war, dass es kein inländisches Saatgut gegeben habe. Als der 2. Weltkrieg ausbrach, waren die Schweizer Landwirte gerüstet und die Anbauschlacht nach dem Plan Wahlen war erfolgreich. In der Zwischenkriegszeit hatte man nämlich damit begonnen, Saatzuchtgenossenschaften zu gründen und eigenes Saatgut zu ziehen. Irgendwann in den Achtzigerjahren ging dieses Bewusstsein etwas verloren – viele Saatzuchtgenossenschaften verschwanden. Nicht jene von St. Gallen. Mit dem Restgeld in der Genossenschaftskasse beging man nicht die Abdankung – sondern man investierte in einen Neuanfang. «Die topografische und klimatische Vielfalt in unserem Kanton erlaubt es, viele verschiedene Pflanzen zu ziehen», sagt Gämperli. Auf Versuchsfeldern der ehemaligen Landwirtschaftsschule Mattenhof in Flawil werden darum seit Jahren jenste Pflanzen ausgesät. «Es geht ums Pröbeln», sagt Gämperli. Und fügt an: «Proben und Versuche sind wichtig. Noch wichtiger aber sind das Weiterverarbeiten und die Vermarktung.»
Diverse Nischen
Sobald eine Nischenkultur auf den Versuchsflächen des Landwirtschaftlichen Zentrums St. Gallen in Flawil erfolgsversprechend erscheint, startet die Saatzuchtgenossenschaft mit ihren mittlerweile wieder gut siebzig Landwirten den Grossanbau und die Vermarktung. So wurden in den letzten Jahren diverse Nischen erschlossen:
- Im Rheintal gedeiht auf 40 Hektaren Saatmais. Nur im Genfer Becken und im Tessin ist diese Vermehrung sonst möglich.
- Seit 14 Jahren gelingt es den St. Gallern, Grassamen trotz den häufigen Niederschlägen zu vermehren und erfolgreich zu ernten. Dies dank einer selbst ausgeklügelten Mäh-Dresch-Maschine. Mittlerweile fahren drei solcher Maschinen für die Saatzuchtgenossenschaft und ernten auf knapp 100 Hektaren Grassamen von früh reifendem Englischen Raigras und von Wiesenfuchsschwanz. Beim Wiesenfuchsschwanz können die St. Galler dank ihrer einzigartigen Erntetechnik, ihrem Know-how und den besonderen Anbaubedingungen sogar zu Weltmarktpreisen produzieren.
- Alte Kartoffelsorten (rund 100 Stück) werden in Zusammenarbeit mit Pro Specie Rara erhalten und teilweise wieder vermehrt.
- Braugerste wird – nach anfänglichem Erfolg – nur noch in kleinem Stil gepflanzt.
- Diverse heimische Pflanzen werden zur Ölgewinnung gezüchtet und verwertet, unter anderem Mohn, Raps, Sonnenblumen und Lein. Baumnüsse und Traubenkerne aus der Region gelangen ebenfalls in die St. Galler Ölproduktion.
- Ferner gelang es Christoph Gämperli, eine blaue Kartoffelsorte zu züchten, welche auch beim Verarbeiten blau bleibt. Die blaue St. Galler Kartoffel ist als Züchtung Gämperlis geschützt, wird aber mittlerweile fast weltweit angepflanzt. Die St. Galler Saatzüchter können das Pflanzgut für den inländischen Markt liefern, zudem konnte im vergangenen Jahr – dank grosser Nachfrage – auch Pflanzgut in den europäischen Markt exportiert werden.
Es ist sehr eindrücklich, wenn man den begeisterten Agronomen so reden hört. Natürlich spricht auch er von Rückschlägen und Herausforderungen. Zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Anbau von Mohn für Öl – und dem Kampf, nicht in die «Drogenecke» zu gelangen. Aber seine positive Einstellung ist eindeutig stärker. Manch ein Jungbauer nickt bewundernd, wenn Gämperli referiert. Und dieser zögert nicht, den jungen Kollegen mit Rat zur Seite zu stehen. «Nischen finden ist das eine», sagt er. «Dranbleiben und am Erfolg Arbeiten und nicht schon nach einem Jahr aufgeben, das ist das andere.» Und auch zur Verkaufsstrategie weiss Gämperli, der Profi, einiges zu sagen. «Wichtig ist, dass ihr den Kunden Geschichten erzählen könnt, dass das, was ihr herstellt, glaubwürdig und echt ist.» Er nennt ein Beispiel einer Uraltkartoffel aus der Heimat von Schellen-Ursli. «Stellt euch vor, ihr könnt den Gästen die Geschichte dieser Kartoffel erzählen, sagen, dass Ursli die wohl auch gegessen hat, woher sie kommt, wie sie wächst, welche Eigenschaften sie hat – keiner wird sie ablehnen.»
«Verzettelt euch nicht!»
Auch zum Thema Nebenprodukte-Verwertung hat der erfahrene Saatzüchter Tipps und Ideen. Aber er rät seinen jungen Zuhörern auch: «Was auch immer ihr tut, wichtig ist, dass ihr euch darauf konzentriert und euch nicht verzettelt.» Dass er selber manchmal vor lauter Ideen nicht mehr weiss, worauf er setzen will, versteht sich von selbst. Die Feldsamenvermehrung– momentan tüfteln sie auf den Feldern am perfekten Esparsettensamen – war der Hauptgrund, dass der agroPreis 2001 nach Flawil ging. Seither gedeihen viele andere Samen im fruchtbaren St. Galler Boden. Und ein Ende dieser Erfolgsgeschichte ist nicht in Sicht.