Sie hatten Investitionsbedarf – und setzten Prioritäten
Unendlich weit und schön erstreckt sich das Alpgebiet hoch über Lungern. Fast vierhundert Stück Vieh verbringen hier oben den Sommer. Gekäst wird meist in den traditionellen Alphütten. Nur die «Ussere alp» macht eine Ausnahme. Hier stehen eine fahrbare Käserei und ein fahrbarer Melkstand neben der neuen Alphütte. Vier Bauern aus der Region gewannen mit dieser Idee Ende der Neunzigerjahre den agroPreis.
Schönstes Alpgebiet, so weit das Auge reicht! Hoch über Lungern, «hinter» dem Brienzergrat, erstreckt sich mit einer Fläche von nahezu 260 Hektaren das Alpgebiet Breitenfeld. 25 Landwirte aus dem Tal bestossen die weitläufigen Weiden. Genau diese Weitläufigkeit zwang die Landwirte Mitte der Neunzigerjahre, etwas zu unternehmen. Denn manchmal liefen sie über eine Stunde zu ihren Kühen, um sie im Freien zu melken. Nachher musste die Milch den ganzen Weg zurückgeschleppt werden, bis zur nächsten Alphütte mit Kessi, die aber mehr als nur überlastet war.
Einige der Bestösser fuhrwerkten ihre Milch sogar ins Tal. Das tun sie zum Teil auch heute noch. Denn erschlossen sind selbst die obersten Alphütten sehr gut. Aber für Pius Gasser und drei seiner Kollegen kam der Transport der Milch ins Dorf nicht in Frage. Grund: «Wir konnten unseren Obwaldner Bergkäse schon damals sehr gut vermarkten», sagt David Zumstein, während er für seine Kollegen, die beiden eigenen Kinder und zwei Ferienkinder in der neu erstellten, gemütlichen Alphütte ein üppiges Frühstück zubereitet.
Lange wurde der Bau einer grossen Gemeinschaftskäserei diskutiert. Ein Neubau hätte es werden sollen – mit einer kleinen Schaukäserei dazu. Doch die Mehrheit der Beteiligten schickte das millionenschwere Projekt bachab. Zu gross war die Angst vor den Investitionen, zu ungewiss die Zukunft. Pius Gasser bedauert das heute immer noch ein wenig. Obwohl er und seine drei Kollegen David Zumstein, Arnold Imfeld und Peter Vogler in einer sogenannten Übergangslösung eigentlich das Ideal fanden und nebst dem agroPreis später auch andere Preise einheimsten mit der Idee der rollenden Alp.
Melkstand auf 1800 Meter über Meer
Aber wie funktioniert das? Im Frühling ziehen die Bauern mit ihrem Vieh auf die Voralpen. Mit dabei sind nicht nur die Kühe, Rinder, Kälber und Schweine. Auch ein Melkstand auf Rädern und eine Käserei in einer Art modernem Bauwagen fahren mit. Nach Belieben können die Installationen abgestellt und sofort genutzt werden. Der Platz in der Käserei ist freilich nicht üppig. Aber es mangelt auch an nichts. Eingeheizt wird mit Holz, damit die Milch im Kessi auch die richtige Temperatur erhält. Zuständig fürs Käsen sind die Älpler Arnold Imfeld und David Zumstein. Täglich stellen sie den Alpkäse her, pro Saison sind dies dann ungefähr vier Tonnen, die in der rollenden Alp entstehen. Nach der Vorsaison von Ende Mai bis Ende Juni geht’s schliesslich auf über 1800 Meter für rund sieben Wochen. Die Käserei und die Melkstände können dank den guten Strassen auch hier problemlos mit. Und im Herbst, bevor es wieder ins Tal geht, machen die Bauern und ihr Vieh nochmals einige Wochen Halt auf den Voralpen. Die Käselaibe werden regelmässig in die Speicher gebracht. Im Herbst bekommt jeder der Bauern seinen Anteil. Verkauft wird die Spezialität an Private und Detailhändler. «Ja, unsere Übergangslösung funktioniert auch fast zwanzig Jahre nach dem Start immer noch sehr gut», lacht Pius Gasser, der eigentlich nicht mehr davon ausgeht, dass eine andere Lösung gesucht werden muss. «Vorher war die Qualitätssicherung ein Problem und wurde so auf einen Schlag gelöst», erinnert sich Arnold Imfeld. Die Käseherstellung in der fahrbaren Käserei funktioniert, abgesehen von kleineren Anlaufschwierigkeiten, tadellos. Die mehrmals erzielten Höchstnoten bei der Käsebewertung bestätigen dies.
Ein Unterstand für das Vieh
Es ist also alles bestens hier oben? «Ja, aber die vermehrten extremen Witterungsbedingungen machen uns zu schaffen», sagt David Zumstein. Darum sei seine Vision ein Stall. Die neue Alphütte bietet den Kühen keinen Unterstand. Bei jedem Wetter sind die Tiere draussen. Und weil das Klima immer extremer sei, mal ganz heiss und dann wieder ganz kalt, wäre ein gedeckter Platz für Vieh und Melker ein Vorteil. Ob das Geld reicht, hier oben erneut einen Bau in Angriff zu nehmen, ist noch etwas umstritten in der Gruppe. Die Zeiten sind in den letzten zwanzig Jahren nicht rosiger geworden. Aber die vier Obwaldner Älpler sind froh, dass sie mit der rollenden Alp eine Innovation gewagt haben, die sich im Nachhinein betrachtet mehr als nur bewährt hat.